Italienische Familien in der Schweiz. Zwischen Fremdplatzierung und negierter Kindheit

Ricciardi Toni
Primo
;
2024

Abstract

Dürfen die universellen Menschenrechte wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden? Darf ein Land, das früher wie heute den Ort darstellt, an dem mögliche Kompromisse in Bezug auf Konflikte und Rechte definiert werden, die Umsetzung dieser universellen Rechte unterlassen, und das mit Folgen, die auf lange Zeit das Schicksal von Menschen bestimmen werden? Aus fachlicher Sicht liessen sich diese beiden Fragen jedem Land hinsichtlich des Managements eintreffender Migrationsströme von Erwachsenen und Kindern stellen. Die Geschichte der Migration erweist sich als reich an Entscheidungen, bei denen immer wieder eine Abwägung erfolgte zwischen einerseits den Volkswirtschaften mit ihrem Wachstumsstreben und andererseits den fundamentalen Rechten, welche denjenigen zu gewähren sind, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, diese Erwartungen zu erfüllen.1 Die Schweiz war neben den USA das erste Land, das eine komplexe Einwanderungsgesetzgebung einführte. Im Jahr 1931 schuf sie die ersten gesetzlichen Grundlagen, welche direkt nach Inkrafttreten an italienischen Arbeitskräften «getestet» wurden. Am 22. Juni 1948 unterzeichnete das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Abkommen über die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, und zwar mit Italien. Von dort kamen in den Jahren 1870 bis 1985 mehr als fünf Millionen Menschen, die Hälfte von ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1931 und mehr noch nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Migration immer als ein vorübergehendes Phänomen gedacht. In Wirklichkeit wurde sie ab Mitte der 1960er-Jahre zu einer dauerhaften Einrichtung und diente der Schweizer Wirtschaft als Grundlage für ihr Wachstum. Zur selben Zeit begann die Phase der fremdenfeindlichen Referenden gegen Ausländer:innen, welche zur gleichen Zeit bessere Bedingungen forderten, insbesondere in Bezug auf ihre bürgerlichen und sozialen Rechte. Auf der einen Seite stand der Wille, das bestehende Saisonnier- statut (auf das wir später näher eingehen werden), welches den Familiennachzug untersagte, abzuschaffen, auf der anderen Seite die Absicht, die – wenn auch pre- käre – Existenz von Hunderttausenden von Migrant:innen aufrechtzuerhalten. Zugleich waren die Auswirkungen dieser Konstellation auf den Kindesschutz beträchtlich. Obwohl die Schweizer Gesetzgebung zum Kindesschutz im 20. Jahr- hundert zu wichtigen Errungenschaften geführt hatte, wurden die Rechte von Kindern ausländischer Herkunft von den Schweizer Behörden als Hindernis für das Modell des Wirtschaftswachstums interpretiert. Unser Forschungsprojekt sollte dieses Spannungsverhältnis zwischen den Rechten Minderjähriger mit aus- ländischer Herkunft und der Wirtschaftspolitik der Schweiz beleuchten. Hierzu haben wir die Geschichte des Schutzes dieser Kinder in der Schweiz zwischen 1948 und 1975 am Beispiel des Kantons Tessin sowie der in Italien geborenen Kinder untersucht.
2024
Istituto di Storia dell'Europa Mediterranea - ISEM
978-3-7965-4905-2
Italienische Familien in der Schweiz, Fremdplatzierung
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/20.500.14243/534200
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